Wine-Times - das unabhängige Online-Weinmagazin
Helmut KNALL18.07.2007

Die Hexenküchen.

Wenn du zum Winzer gehst – nimm das Wahrheitsserum mit. Oder so ähnlich.

Erst waren es die Barriques, dann die Alternativ-Verschlüsse, die Konzentrationsmaschinen und jetzt sind es die Reinzuchthefen, die zum Thema der Weinfreaks geworden sind. Und wieder einmal hört man haarsträubenden Unsinn.

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Manchmal denk ich mir...

Geh bitte. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ok. Wein ist „in“. Das ist gut so. Aber das hat seine Nebenwirkungen. Jetzt glaubt schon jeder, der ein paar mal bei Weinverkostungen war oder ein kurzes Wein-Seminar als Incentive geschenkt bekommen hat, dass er g’scheiter als der Winzer ist. Und quält nebenbei mit seiner Boss- oder Fahrenheit-Wolke alle, die nur verkosten wollen.

Es geht rund in der Szene. Anfang der 1990er Jahre begannen unsere Jungwinzer mit Barriques zu experimentieren, denn das hatten sie auf ihren Lehr- und Wanderjahren im Ausland kennen gelernt. Also musste der frisch angebaute Cabernet und der Merlot ins kleine Fässchen. Verständlich. Denn die ausländischen Winzer, wo man ein paar Monate unbezahlt mitarbeiten durfte, bekamen für ihre Weine unglaublich viel Geld. Für eine einzige Bouteille mehr als das Zehnfache, als der Papa daheim für eine Kiste Doppler verlangte. Und irgendwie muss das doch bei uns auch machbar sein. Nicht mehr mit dem klapprigen VW-Bus bis nach Vorarlberg liefern.

Nein. Wein mit Spedition ausliefern und selber BMW fahren, g’nagelte Bock und Mass-Anzüge tragen. Nicht unterwürfig dem Werbefuzzi oder dem Zahnarzt den Wein nachtragen. Nein, gleichberechtigt sein. Logisch. Man hat eine Ausbildung. Man muss schwer dafür arbeiten, das ganze Jahr. Man will anerkannt sein. Ich versteh das.

Die Rechnung ging auf. Mit der Gleichberechtigung kam auch die professionelle Hilfe. PR, Marketing und Werbung waren plötzlich auch für heimischen Wein selbstverständlich. Und es wurde immer mehr und immer teurerer österreichischer Wein getrunken. Man fand diese pelzigen Noten toll. In immer mehr Barriques kam immer mehr (meist unreifer) Cabernet.

Ich fragte den Betriebsleiter von Seguin-Moreau, einem der grössten Fassbinder der Welt, warum österreichische Barrique-Weine immer so eckig, so sperrig seien. Die Antwort: „Wir haben Kunden, die seit Jahrzehnten Hunderte Barriques bei uns kaufen. Jetzt kommt ein Typ aus Österreich und bestellt drei. Glaubst du wirklich, der bekommt die besten?“. Falsch gedacht, schmunzelte ich in mich hinein, das ist der Kunde von morgen. Die drei Fässer gehen bei Mouton nicht wirklich ab.

Eleganz und Frucht statt Holz und Pelz.

Nach ein paar Jahren Holz-Euphorie kamen unsere Winzer drauf. Bessere Fässer, weniger Cabernet, mehr Blaufränkisch und Zweigelt, das schmeckt besser. Und ist unverwechselbarer. Diese Eleganz, diese Frucht. Das kann uns keiner nachmachen. Damit punkten wir. Immer wieder und überall. Weltweit. Bingo.

Die Weinfreaks brauchten ein neues Thema. Also kam die erste zarte Kork-Debatte. Aber noch glaubte man an den immer wieder selben Unsinn. Wein braucht Kork, denn Kork atmet. Auch wenn man es noch so oft wiederholt, es wird deswegen nicht richtiger, denn der (luft)dichteste Verschluss ist ein perfekter Naturkork.

Das einzige Problem war: die Alternative hiess Kunststoff (oder fälschlich Silikon). Das hatte den Vorteil, dass der Winzer seine Abfüllanlage weiter verwenden konnte. Und den Nachteil, dass lagerfähige Weine oxidierten. Weil diese Dinger nämlich das machten, was angeblich Kork tut: sie atmeten. Oder richtiger, sie wurden bei Temperatur-Schwankungen leicht undicht, liessen Luft durch und der Wein oxidierte fröhlich vor sich hin. Das tut guter Kork eben nicht. Und damit hör ich auch schon auf, denn das ist eine „never-ending-story“ und viele eigene Artikel wert. Inzwischen ist klar, Plastik ist nicht die Lösung. Bestenfalls für Weine, die rasch getrunken werden. Inzwischen gibt es Drehverschluss und Glas-Stöpsel.

Also brauchte die immer grösser werdende Zahl der Wein-Liebhaber – immer noch patriotisch kaufend – ein neues Thema. Leider auch neue Rasierwasser und Eau de Colognes.

Ein neues Thema für die Freaks.

Das war rasch gefunden. Konzentration war das neue Zugpferd. Komischerweise hat sich nie jemand darüber beschwert, dass Rübenzucker in den Most gekippt wurde. Dieses – streng genommen – artfremde Produkt wurde mit dem eleganten französischen Ausdruck „Chaptalisation“ immer schon akzeptiert. Aber mit blitzenden Edelstahl-Rohren Wasser aus dem Most zu extrahieren, das ist Teufelszeug. Dabei gewinnt der Winzer beim Aufzuckern nicht nur Alkohol, sondern auch Menge. Bei der Mostkonzentration hat er schlussendlich weniger. (Das ist übrigens der einzige Grund, warum ich nicht verstehe, wieso Weinbauern das Verfahren einsetzen, die drehen doch sonst jeden Groschen um…). Von Saftabzug etc. reden wir ja gleich gar nicht.

Ein herrliches Thema. Umkehrosmose, Vakuumverdampfung. Keiner kennt sich aus – auch viele Winzer, die das ausprobierten nicht – und jeder redet drüber. Interessanterweise erkundigte sich auch keiner wirklich. Gerüchte und Viertelwahrheiten machten die Runde.

Winzer, die im guten Glauben, weil ja auch die Topstars in Bordeaux so was verwenden, diese Dinger ausprobierten, wurden fast gelyncht, jedenfalls aber mit Verachtung oder Boykott belegt. In zahlreichen Restaurants trafen Gleichgesinnte zusammen, um in Verkostungsrunden exakt festzustellen, wer denn nun – und wer nicht. Kuriose Ergebnisse bewiesen uns winzigem Häuflein Wissender, dass man es eben nicht wirklich herauskosten kann. Und, dass gut eingesetzt, in Regenjahren durchaus Positives herauskommen kann. Andererseits weiss jeder spätestens seit Pepi Pöckls legendärem Interview: „Wenn man Scheisse konzentriert, kommt hinten konzentrierte Scheisse raus“. Deswegen gibt es immer noch relativ wenige solcher Geräte in unseren Breiten. Manche tun’s, manche nicht. Manche stehen dazu, das find ich toll. Manche machens heimlich, das find’ ich dumm. Wie auch immer. Diese Technologie gibt’s weltweit, warum sollen wir das nicht verwenden.

Thema beendet.

Die ganze Wein-Meute hat sich an dem Thema satt geredet. Irgendwann war das Thema durch, heute interessiert’s eigentlich niemanden mehr.

Denn: Das neue Thema heisst: Reinzucht-Hefen. Hoolodrio. Und schon gibt es wochenlange Threads in Internet-Foren. Und schon wird in Hauben-Restaurants wieder geheimbündlerisch verkostet und das Spontangärungs-Stinkerl erfunden, das nun das Non-Plus-Ultra eines guten Weines ausmacht. Ungefähr so, wie seinerzeit Böckser oder Sämlingstöne zum Pfefferl erkoren wurden oder Brettanomyces als typische südfranzösische Terroirnoten verkauft werden – immer noch.

Also das Spontan-Stinkerl ist jetzt „in“. Die glasklaren, fruchtbetonten Stahltank-Weine, die seit der genialen Marketing-Idee der Südsteirer „klassisch“ heissen, sind aber so was von „out“. Ja fast schon wieder Lynchjustiz gefährdet. Und wieder kennt sich keiner aus und wieder wird so unglaublicher Unsinn verzapft, dass es fast schon wieder lustig wäre, wenn es nicht eher gefährlich würde.

Frisch, saftig, fruchtig.

Also dagegen ist doch grundsätzlich nix einzuwenden. Das sind doch die „Jeden-Tag-Weine“. Unkompliziert, süffig, animierend. Also ich mag das. Oft. Saubere gut gemachte mit hohem Trink-Spass-Faktor.

Und ich mag Weine mit Tiefgang, mit Terroir (auch so ein Schlagwort, worüber viele reden und keiner eine genaue Definition kennt) oder einfach mit Sorten- und Regionstypischer Ausprägung. Lagerfähige Weine mit Potential, die nach Jahren erst so richtig schmecken. Aber das mögen eigentlich nur sehr wenige Leute – ich sag immer vielleicht sind's zwei Promille - weltweit.

Was aber das „Um- und Auf“ ist, solche Weine müssen nicht spontan vergoren und im grossen Holfass ausgebaut werden. Nein, das geht auch mit Reinzuchthefen und Stahltanks. Nur weil ein paar Winzer jetzt draufkommen, dass die Grossväter nicht alles falsch gemacht haben, ist das nicht gleich allgemein gültig.

Andererseits kenne ich viele Weine, die ich nicht mag. Veltliner oder Weissburgunder, die wie Sauvignon duften zum Beispiel. Oder so genannte „Klassik-Weine“, die mit Eiszuckerlnoten oder Maracuja-Duft daherkommen. Zugegeben. Das kann unter Umständen von so genannten speziellen "Aroma-Hefen" kommen. Meist kommt es eher von ziemlich kühler Vergärung völlig entschleimter, klarer Moste. Da liegt der Hund begraben.

Ich schreibe jetzt was völlig unwissenschaftliches. Hefen sind nahezu überall. Nicht nur im Weinberg. Nein auch im Keller, in den Behältnissen, in der Kelter. Das bedeutet, selbst wenn ich Spontangärung praktiziere, habe ich nicht nur die Hefen meines Weinbergs im Most, sondern auch die Hefen meines Reinzuchthefe-Nachbarn, denn der führt mit den Trestern ja auch einen Teil seiner Hefen wieder in die Weingärten.

Worum geht es also wirklich? Reinzuchthefen sind kein Teufelszeug, das in einer Hexenküche gezüchtet wurde, sondern eine Selektion aus natürlichen Weinbergshefen, die streng selektioniert, isoliert und vermehrt wurden, damit man die Gefahr unerwünschter Gär-Unterbrechungen einschränkt. Das ist nichts Gefährliches, ganz im Gegenteil. Das sind ja natürlich entstandene Hefen, die einfach weniger Risiko bieten. Die Weine werden dadurch nicht verfälscht, sondern gären nur sicherer durch.

Spontan-Vergärung hingegen heisst nichts anderes, als relativ hohes Risiko in Kauf zu nehmen. Die meisten Winzer, die angeblich spontan arbeiten, gehen einen Mittelweg. Sie isolieren aus dem ersten Teil der Ernte die eigenen Hefen, vermehren diese und setzen sie später dem Rest des Mostes zu. Damit haben sie quasi ihre eigene Reinzuchthefe und ebenfalls ein verringertes Risiko.

Grundsätzlich gilt aber nach wie vor: Viel Wichtiger, als alle Massnahmen im Keller ist die genaue Arbeit im Weingarten. Dort entsteht die Qualität. Im Keller kann man nur mehr begleiten und vielleicht ein paar Fehler korrigieren, besser machen kann man dort nichts mehr. Und darüber kann man nicht diskutieren. Prost.

Einige interessante Links zum Thema finden Sie bei den Link-Tipps:

1. Sachlich, aus schweizer Profisicht ein Kommetar von Sigi Hiss.

2. Sehr engagierte Gedanken, entstanden aus einer Rede anlässlich einer Preisverleihung des VDP an Mario Scheuermann.

3. inzwischen von ihm selbst weiterdedacht und veröffentlicht in der Zeit.

4. Zum Thema Spinning Cone Column noch ein Essay von mir.

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