Wine-Times - das unabhängige Online-Weinmagazin
Helmut KNALL20.02.2010

ZweiUhrNeunundzwanzig. Montalcino.

Zwei ältere Herren plauderten mit Händen und ganzem Körpereinsatz und überwanden damit alle Sprachbarrieren.

Eine kurze Geschichte zum Thema Brunello. Geschrieben nach einem wunderbaren Abendessen, viel Spass in meinem Stammbeisl in Montalcino und einem Kurzbesuch im Kafeina, dem "Latenight"-Lokal mit sensationellen Drinks und einem Chef, der Montalcino besser kennt, als andere.

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Sangiovese. (Foto: Consorzio Chiant Classico)

Der eine stoppelglatzig, vielleicht um über das wahre Alter hinweg zu täuschen, und kaum einer anderen Sprache mächtig, als italienisch, seiner Muttersprache, der andere weisshaarig – aber die dünnen Haare zu einem Zopferl gebunden, vielleicht um den Ex-Revoluzzer ein bisserl heraus hängen zu lassen, in mehreren Sprachen in Speisekarten-Version argumentationsfähig.

Der eine ein ehemaliger Funktionär der Stadt und des Consorzio di Brunello di Montalcino, der andere ein Wein-Schreiberling, der seit mehr als 20 Jahren diesen Circus rund um die Weine hier mitmacht.

Der eine hat inzwischen eines der wenigen Lokale, in die man hier auch spätuhr gehen kann, der andere einer der wenigen aus dem Tross aus aller Welt, der auch spätuhr noch ein Glaserl trinken will und den Ehrgeiz um 09:30 der erste bei der Verkostung zu sein, um möglichst viele Weine zu schaffen, längst bei der Ortstafel abgelegt hat. Was auch einen einfachen Grund hat. Man erfährt einfach viel mehr über den Jahrgang, über die Probleme und Erfolge – und auch wie es den Leuten wirklich geht - in zwei, drei Lokalen, wo die Winzer, Oenologen oder Mitarbeiter eines Weingutes selbst fortgehen, als bei der Veranstaltung, wo alle genau das sagen, was sie sagen sollen. Eigentlich eh logisch.

Aber es gibt halt nur mehr einige wenige Typen, die sich noch erinnern, dass Mitte der 1980er noch fast überall, wo heute Trauben für den Brunello angebaut werden, eigentlich Moscadello-Trauben wuchsen. Und es ergab sich, dass eben diese beiden oben beschriebenen älteren Typen sich heute trafen.

Der Weinjournalist erinnerte sich, dass er – vermutlich 1987 oder 1989 – das erste Mal bei dieser „Benvenuto Brunello“ Veranstaltung war, wo damals ungefähr 25 Produzenten ihre Weine präsentierten. Der ehemalige Funktionär erzählte von dem alten Lancia, den er mit den Weinen von 18 unabhängigen kleinen Weinproduzenten - völlig überladen – zur VinItaly nach Verona steuerte. Natürlich gab es damals schon die zwei Handvoll namhafter Produzenten, wie Biondi Santi, Poggio alle Mura (heute Banfi), Barbi etc. Aber es ging ja um die „kleinen“ aufstrebenden Weingüter. Das Consorzio wurde gegründet – und man schrieb fest, dass Brunello nur aus Sangiovese Grosso, diesem Klon, der eben hier die besten Ergebnisse brachte, gekeltert werden dürfe.

Heute stehen 136 Produzenten – und das sind bei weitem nicht alle, die es hier gibt – auf dieser Veranstaltung und schenken stolz Weine aus, die ein Vielfaches von dem kosten, was sie wert sind. Es gibt in ganz Italien keine andere Stadt, in der die Aufkleber der Kreditkarten-Firmen so präsent sind, wie in diesem winzigen Städtchen Montalcino. Begleitet von Schildern, wie „we ship worldwide“.

Und in drei Dingen sind sich Stoppelglatze und Weisshaarzopf durchaus einig.

Einerseits, es war eine tolle Entwicklung und manche der End-Achtziger und BisEndeder Neunziger Brunello (Nein, es gibt keine Mehrzahl des Eigennamens Brunello) sind heute noch grossartige Weine und ihr Geld durchaus wert.

Andererseits, was seit dem Jahrtausendwechsel als Brunello, um geradezu unverschämtes Geld angeboten wird, hat mit Brunello einfach gar nichts mehr zu tun. Es gibt einerseits Weine, die heute bis zu 180,-Euro kosten, aber in Wahrheit nur saugut gemachte, dunkelbeerige dichte Weine sind, die eigentlich von überallher kommen könnten. Aber das Zeug bekam halt von irgendeinem Ami-Tester mehr als 90 Punkte und verkaufte sich deswegen auch wahnsinnig gut. Also begannen viele andere diesen Stil nachzuahmen und scheiterten kläglich. Weil es halt immer nur ein bis drei gibt, die sich dann auch das Marketing und die PR leisten können oder wollen. Das sind die, die heute die Keller randvoll haben oder durchaus gute Weine an Aldi, Lidl & Co. verscherbeln, nur um die Raten für den Neubau der Kellerei zahlen zu können.

Zum dritten gibt es dann die „Traditionalisten“. Einige davon (leider viel zu wenige) produzieren Brunello, wie man ihn sich wünscht. Sortentypisch fruchtbetont mit kraftvollem Körper, toller Struktur, Eleganz und Länge. Einfach tolle Weine - und hier gleich der nächste Fehler der Weinfreaks – Weine, die, wenn sie auf den Markt kommen, ziemlich trinkreif sind. Brunello ist so lange gelagert, damit man ihn trinken kann, wenn er präsentiert wird. Und danach vielleicht noch 5-10 Jahre. Thats it.

Ich weiss, ich setzte mich jetzt wieder in die Nesseln...

...aber bitte nachdenken – im Jahr 2022 kommt der 2017er auf den Markt. Ja warum lässt man ihn den so lange reifen? Damit man ihn nachher wieder in den Keller legt und nach zig Jahren böse ist, weil er nicht mehr gut ist? Nein. Weil er diese Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Und dann eben ein paar Jahre lang perfekt zu trinken ist.

Diese lange Zeit im Weingut ist auch der einzige Grund (neben Angebot und Nachfrage), der den höheren Preis rechtfertigt. Denn jeder Brunello-Produzent hat ja fünf (!) mit Riserva sogar noch mehr Jahrgänge im Keller liegen. Das ist logischerweise gebundenes Kapital.

Trotzdem diskutierten wir beide - denn ihr liebe Leser wisst ja längst, dass der Weisshaarzopf der Autor dieser Zeilen ist - auch über die andere Seite der „neuen“ Weine. Denn Traditionalismus ist ja okay. Aber Weine, die bei der Präsentation bereits braun, oxidiert und eigentlich tot ins Glas kommen, können es ja wohl auch nicht sein.

Was wollen wir denn dann?

Gute Frage. Einfach erklärt. Brunello wünschen wir uns so: Knackige, lebendige Frucht, in den besten Fällen mit mineralischer Würze, gut gereift, mit einem Trinkfenster von ungefähr zehn Jahren, dicht und schmelzig mit toller Struktur und Länge. Und mit einem Trinkanimo, das Lust auf das nächste Glas macht. Solche Weine passen dann nämlich auch immer perfekt zum Essen – und dafür wurden sie einst gemacht.

Ein Wein, der irgendwo auf dieser Welt Hundert Punkte bekommt, bei dem man aber eine halbe Stunde braucht, um das Achterl zu leeren (und eigentlich kein zweites mehr will), die sollen sich meine Herren Kollegen gerne in den Keller legen, wir trinken inzwischen was anderes.

Dafür bezahlen wir auch gerne ein bisserl mehr, für einen 2005er, der einfach jahrgangsbedingt nicht wirklich hundertprozentig brillieren kann, sollten die Winzer aber doch ein bisserl in sich gehen und marktgerechte Preise festsetzen. Sonst kaufen die Leut‘ nämlich was anderes. An Mitbewerbern mangelt es weltweit ja wirklich nicht.

Inzwischen ist es 04:25. Nur als kleiner Hinweis an die Herren Controller in den Verlagen. Selbst für einen Artikel ohne grosse Recherche braucht man ein bisserl Zeit. Und dafür sind die Honorare, die ihr uns heute anbietet einfach ein schlechter Witz.

Und ein Danke an das Consorzio, die mir nach all den Jahren erstmals ein vor-geheiztes Zimmer gaben – und mit dem Rosso di Montalcino 2005 (!) von Donatella Cinelli Colombini – ein grandioses Begleit-Tröpferl auf den Tisch stellten.

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