Aus für den Kork?
Mein Kollege Dr. Michael Prónay hat mir einen Artikel zur Verfügung gestellt, den er zwar schon im Jahr 2003 geschrieben hat, die Recherchen von damals sind aber immer noch lesenswert.
Im letzten Heft war der Hilfeschrei von Adi Schmid, dem Chef-Sommelier vom Steirereck, zu lesen: 10 Prozent Korkfehler sind völlig inakzeptabel. Die Korkindustrie schwankt zwischen der Vogel-Strauß-Politik der Negierung und der Verniedlichung des Problems. Gegen den Schraubverschluss spricht absolut nichts – auch nicht für Langzeitlagerung. Das ist übrigens solid abgesichertes Wissen.
Michael Prónay
Ich habe, glaube ich, den Vorfall schon einmal erzählt: An einem Nachmittag im letzten März, gegen 17 Uhr, habe ich für ein schönes Abendessen eine Magnum Sociando-Mallet 1985 dekantiert, in meinem Langzeitlagerkeller an der Wiener Peripherie. Ein Probeschluck zeigte einen völlig verschlossenen Wein, bei 10 °C nicht weiter verwunderlich. Zuhause, um 19 Uhr, die Gäste treffen ein, wir probieren noch einmal: Wenig Entwicklung in der Karaffe spürbar, der Wein noch immer verschlossen, aber kein Grund zur Beunruhigung, gute Bordeaux brauchen ihre Zeit. Gegen 21 Uhr, unmittelbar vorm Auftragen der Lammkoteletts, schenke ich ein – Kork.
Da möchte man mit dem Kopf durch die Wand gehen, denn natürlich ist kein Reservewein zur Hand, und der Hauskeller hat 12 °C. Das sind Momente, wo man die Korkproduzenten auf den Mond schießen möchte. Keine andere Sparte der Konsumgüterindustrie könnte sich solche Fehlerquoten auf dem Rücken der Verbraucher leisten.
„Wir können die Flasche ersetzen, aber niemals den Augenblick“, bringt Geoff Hammence vom australischen Weingut Tahbilk seine Korkkritik poetisch auf den Punkt – wobei in meinem Fall nicht einmal das stimmt. Mir ersetzt niemand den damaligen Einkaufspreis, noch den aktuellen Marktwert von 140 Euro, vom ideellen Wert des verpatzten Abendessens (und obendrein ist’s der Geburtsjahrgang meines Filius) gar nicht zu reden. (Nein, ich kenne Geoff Hammence nicht persönlich. Das Zitat stammt aus einem jüngst erschienenen Buch, das der Australier Tyson Stelzer dem Thema gewidmet hat: „Screwed for Good? The Case for Screw Caps on Red Wines”. Auf Seite 30 der vorliegenden VINARIA, in meiner Kolumne „Neu im Net“, ist es abgebildet, inklusive der Bestelladresse. Dort übrigens weitere interessante Links zum Thema.)
Hannes Hirsch, Kammern.
Da traf es sich gut, dass etwa um diese Zeit eine Presseaussendung auf meinem Schreibtisch landete: Hannes Hirsch, der sympathische Winzer in Kammern bei Langenlois, kündigte an, vom Korkgeschmack endgültig genug zu haben und seine Topweine mit Schraubverschluss verschließen zu wollen. Zufällig ergab sich wenig später im Diskussionsforum (Mark Squires' Bulletin Board) auf Robert Parkers Homepage (eRobertParker.com) eine intensive Diskussion zum Thema, die in der Einrichtung eines eigenen Forums („Corks and Alternative Closures: The Future“) gipfelte. Die dortigen Diskussionen nachzulesen ist für jeden, der am Thema interessiert ist, eine höchst vergnügliche Pflicht.
Zusätzlich traf es sich, dass ich im Juni auf der Vinexpo in Bordeaux zwei prominente Herren aus der Weinszene eingehender zum Thema befragen konnte: Fritz Hasselbach vom Weingut Gunderloch in Nackenheim in Rheinhessen und Peter Gago, den Chief Winemaker von Penfolds und als solcher für den legendären Grange verantwortlich.
Zurück zu Hannes Hirsch. Was war der Grund zu dem Schritt, der, sagen wir es vorsichtig, höchst geteilte Beurteilung erfuhr? „Um es mit einem einzigen Satz zu sagen: Mir ist es maßlos auf die Nerven gegangen, dass immer nur vom Kork und nie von meinem Wein die Rede war.“ Billig war der Schritt nicht, und dass er mutig war, stellt sich erst jetzt heraus: „Was man mir da unterstellt, ist unfassbar. Da werde ich der bedingungslosen Hightech-Fraktion zugerechnet, ohne dass die Menschen, die das behaupten, auch nur einen Funken Ahnung davon haben, wie bei uns der Wein ausgebaut wird, geschweige denn, dass sie je hier im Keller waren. Wir sind bedingungslose Minimalisten in Sachen Weinausbau, wir füllen später, wir lassen dem Wein seine Zeit – und geben ihm darüber hinaus die Möglichkeit, sich ohne Beeinträchtigung durch den Korken zu präsentieren. Ich begreife wirklich nicht, was in solchen Köpfen vorgeht.“
Der Schrauber.
Keine Neuerung der letzten Jahrzehnte lässt die Emotionen so hochgehen wie der Schraubverschluss. Warum das so ist, mögen Psychologen klären. Da wird gar das „Ende der Weinkultur“ herbeigeschrieben. Um Himmels willen – wegen dem Schraubverschluss!?
Aber nehmen wir uns die Gegenargumente einzeln vor.
Argument Nr. 1: „Luftdicht verschlossene Weine ohne minimalen Luftzutritt sterben.“
Das ist, Pardon, völliger Nonsens und durch Champagner, der jahre- und jahrzehntelang unter Kronenkork aufs Degorgieren wartet, klar widerlegt. Natürlich ist das Reifen in der Flasche als Summe chemischer Reaktionen nach wie vor eine „Black Box“, aber es ist gesichert, dass ein Sauerstoffzutritt von außen definitiv nicht zu den Bedingungen gehört, unter denen sich positive Reifeprozesse abspielen. Die Reifung ist ein reduktiver, kein oxidativer Prozess.
Gute Korken sind selbstverständlich gasdicht, sonst könnte Champagner sein CO2 nicht über Jahre im Wein erhalten. Immerhin wirkt in der Flasche ein Überdruck in der mehrfachen Größenordnung eines Autoreifens. Korken sind aber naturgemäß nicht immer gleich dicht, wovon jeder, der in seinem Keller Flaschen über Jahrzehnte lagert, ein Lied zu singen weiß. Wieso allerdings Flaschen mit deutlichem Schwund so stark streuen – von völlig hinüber bis kaum beeinträchtigt (im Vergleich zu Referenzflaschen mit keinem oder kaum Schwund) – entzieht sich unserer Kenntnis. Alles was wir sagen können, ist: Schwund bedeutet stark erhöhtes Risiko vorzeitiger Oxidation, aber nicht Gewissheit. Und dieses Risiko ist mit dem Schraubverschluss definitiv auszuschließen.
Argument Nr. 2: „Weine unter Schraubverschluss entwickeln sich nicht.“
Auch falsch. Nach allem, was man bisher weiß – und das ist eine ganze Menge, man muss sich nur entsprechend schlau machen, wozu Recherche gehört anstatt der Pflege von Vorurteilen –, stellt sich die Sache so dar, und hier darf ich Fritz Hasselbach vom Weingut Gunderloch zitieren: „Das einzige Problem, das ich als Weinmacher mit dem Drehverschluss habe, ist, den richtigen Abfüllzeitpunkt zu finden. Das war mit dem Naturkork einfacher, da hat der Wein nach der Füllung noch eine gewisse Entwicklungsphase durchgemacht. Diese Phase wird mit dem Schrauber erst mal gehemmt. Nach der Vergärung und dem Ausbau im Edelstahl kommt jetzt der hermetische Verschluss, da ist keine Reife drin. Die Lösung, die wir gefunden haben: Der Wein kommt vor der Füllung ins (alte) Holzfass, um dort nachzureifen. Das funktioniert perfekt.“ Und kommt nebstbei der traditionellen Art, den Wein im Fass auszubauen, beträchtlich näher.
Nach dieser ersten Phase des Stillstands aber geht's selbstverständlich weiter, allerdings auf eine leicht gemächlichere Art und Weise. Peter Gago von Penfolds: „Das, was wir bis jetzt, also nach acht, neun Jahren der kontrollierten Versuche mit Schraubverschluss bei Rotweinen, wissen – und zwar logischerweise bei solchen Qualitäten, die in der Flasche reifen –, lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Schraubverschlossene Weine reifen einen Hauch anders als solche mit Kork; der Unterschied entspricht etwa dem zwischen der Reifung in einem sehr kühlen und in einem normalen Keller. Die Weine reifen also eine Spur langsamer. Den Sauerstoff, den der Wein zur Reife benötigt, der ist einerseits in der Luftblase, andererseits ja im Wein gelöst.“
Womit wir schon einen Vorgriff auf den Rotwein getätigt hätten.
Nur zur Ergänzung: In Sachen Weißwein gibt es „down under“ bereits mehrjährige Studien, teils von Firmen, teils vom AWRI (Australian Wine Research Institute), die alle in dieselbe Richtung weisen: Aromatische Weißweine bewahren ihre Frische unter Metall wesentlich besser, reifen aber dennoch gleichzeitig in der Weise, dass die Aromen komplexer und tiefer werden. Nochmals Peter Gago: „Wir – das heißt, die komplette Southcorp-Gruppe, zu der wir mit Penfolds gehören – füllen Riesling ausnahmslos mit Schraubverschluss. Beim Chardonnay zögern wir noch ein wenig, da sind wir noch im Status der Marktforschung. Ein kleiner Produzent tut sich da leichter mit der persönlichen Überzeugungsarbeit; wir müssen da vorsichtiger sein.“
Sein Kollege Dr. Phil Spillman aus Auckland (Neuseeland), Wissenschaftler und Winemaker bei Villa Maria, geht da noch weiter: „Schraubverschlüsse haben die einmalige Chance, die Lager- und Ausbaufähigkeit von Weinen aller möglichen Stilistiken und Ausbauweisen drastisch zu erhöhen.“
Und zum Thema Chardonnay: „In Australien und Neuseeland sind sich alle einig, dass der Schraubverschluss für Riesling oder Traminer ein Muss ist. Dabei hat der Chardonnay mit seiner kontrolliert oxidativen Ausbauweise im Holz Aromen, die weniger primär von der Traube, sondern sekundär von der Hefe und der Interaktion mit der Eiche kommen. Diese gilt es zu bewahren, wozu tatsächlich nichts besser geeignet ist als der Metallverschluss.“
Argument Nr. 3: „Schraubverschlüsse sind nicht das Gelbe vom Ei, auch die machen Probleme.“
Stimmt – aber nur zum Teil. Nochmals Hannes Hirsch: „Klar, wenn die Füllanlage nicht tipptopp gewartet und auf korrekte minimale Toleranzen geprüft ist, dann können auch Schraubverschlüsse rinnen. Aber dann bin ich selber Schuld und habe Reklamationen auch anzuerkennen. In die Korken aber kann ich beim besten Willen nicht hineinschauen.“
Apropos Reklamationen: Fritz Hasselbach füllt derzeit etwa 30 Prozent seiner Produktion unter Schraubverschluss, mehr für den Export als für den deutschen Markt. Bei Spät- und Auslesen kann sich der Vertriebspartner die Verschlussart aussuchen: „Die Wahl trifft er – allerdings übernehmen wir für korkverschlossene Flaschen keine Haftung mehr. Man muss sich das nur vorstellen: Da kauft man eine hochwertige Beerenauslese, lagert sie zehn Jahre, macht sie auf – und sie korkt, 150 Euro im Kübel.“ Ich kann das nur bestätigen: Von den vier Halbflaschen Trockenbeerenauslese 2001 (von insgesamt nur 300 produzierten), die die Hasselbachs zur VDP-Probe auf der Vinexpo spendierten, korkte die, aus der mir eingeschenkt wurde. Übrigens, nochmals Hasselbach: „Geisenheim hat schon 10 Jahre positive Erfahrungen mit dem Drehverschluss.“
Argument Nummer 4: „Beim Rotwein gibt's noch keine echten Langzeiterfahrungen mit dem Schraubverschluss.“
Da steckt ein Körnchen Wahrheit dahinter. Es stimmt, dass es im Gegensatz zu Weißwein noch keine wissenschaftlich abgesicherten Langzeitstudien über Jahrzehnte gibt. Was es aber gibt, sind die acht, neun Jahre Erfahrungen von Penfolds, und was es ebenfalls gibt, sind Einzelfälle, in denen schraubverschlossene Rotweine nach zwei oder drei Jahrzehnten verkostet wurden. Und all diese Einzelfälle haben eines gemeinsam: Sie weisen ausnahmslos alle in die richtige Richtung. Noch jeder derer, von denen Tyson Stelzer in seinem Buch berichtet, die die Möglichkeit hatten, frühe Weine unter Metall nach Jahrzehnten zu verkosten, äußerte sich begeistert über die Art und Weise, wie wunderschön die Weine gereift waren.
Ein Kulturschock?
Argument Nummer 5: „Der Schraubverschluss ist gerade in Österreich ein Signal in die falsche Richtung.“
Soll heißen, dass in einem Land, in dem die Weine sowieso viel zu jung getrunken werden, dem Konsumenten durch diesen Verschluss ein bald zu verbrauchendes Produkt insinuiert wird.
Das mag schon stimmen, ist aber natürlich nichts als ein Vorurteil. Interessant ist nämlich nicht, was der Konsument vom Schraubverschluss hält – was würde der übrigens sagen, wenn er wüsste, dass jede Champagnerflasche im Laufe ihres Lebens ein, wenn nicht mehrere Jahre mit einem Kronenkork verschlossen war? –, sondern was der Verschluss tatsächlich kann. Den Verbraucher aufzuklären, ist unsere Aufgabe, und nicht, ihn in seinen Vorurteilen zu bestärken.
Übrigens ist man in anderen Ländern längst nicht so dogmatisch. Randall Grahm von Bonny Doon Vineyards („Le Cigare Volant“), mit Abstand der beste Satiriker in der kalifornischen Winemaker-Szene, stellte nicht nur ab der Lese 2002 seine komplette Produktion auf den Alternativ-Verschluss um, sondern sorgte auch für ein Erstklassbegräbnis für den fiktiven Thierry Bouchon. Dieser Berufs-„Verschließer“ wurde in New York und San Francisco mit großem Pomp zu Grabe getragen.
Eine Lösung?
Wer je Bordeaux en primeur gekauft hat, weiß, dass man sich anlässlich der Bestellung die Flaschengröße aussuchen kann. Was spricht dagegen, auch die Verschlussart – Kork oder Schrauber – als Wahl zu offerieren? Noch dazu, wo die allermeisten Châteaux sowieso keine eigene Füllanlage haben, sondern sich auf erstklassige Spezialisten, die mit dem Füller auf dem Sattelschlepper kommen, verlassen. Natürlich gibt's ein Restrisiko (das der Grund ist, warum Penfolds seine Toproten noch nicht unter Metall anbietet); nochmals Peter Gago: „Die Dichtheit ist nicht das Problem, sondern die Frage, ob der Verschluss über Jahrzehnte inert bleibt. Das ist beim Weißwein unbestritten, bei Rotweinen mit den Polyphenolen könnte es aber anders sein.“ Letzteres ist übrigens tatsächlich die einzige noch nicht wissenschaftlich abgesicherte Frage zum Thema, wenn auch alle Indizien ganz eindeutig gegen eine Geschmacksbeeinflussung sprechen.
Darf ich freundlicherweise bitten, dieses Restrisiko auf eigene Gefahr (von mir aus auch gegen einen kleinen Aufpreis) selbst einzugehen? Es erscheint mir lächerlich gering angesichts der Weine, die ich bisher mit Tränen in den Augen wegen Korkfehlern entsorgen musste: Mouton 1988, Lafite 1962, Figeac 1953 – nicht zuletzt Sociando 1985.
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