Buch-Rezension oder Liebeserklärung?
Ein deutscher Kollege kocht und nimmt dabei ab. Beim Einkaufen der Zutaten.
Eigentlich sollte das nur eine Rezension werden. Eine Kritik an einem Kochbuch: "Österreich Vegetarisch" heisst es. Da der Autor "fleischlos" lebt, wollte er gerne diese Rezension schreiben. Daraus wurde allerdings fast eine Liebeserklärung.
Ich hatte einen langjährigen Traum. Der besagte, mir den Bauch mit typisch österreichischen Gerichten vollzuhauen. Ausgiebig österreichisch zu kochen. Einen Hauch von österreichischem Schmäh außerhalb der Alpenrepublik in die heimische deutsche Küche zu zaubern. Immerhin bin ich häufig im Nachbarländle in Sachen Wein unterwegs. Da sollte sich das anbieten, könnte man denken.
Na, warum kauft dieser deutsche Autor sich nicht ein Kochbuch der österreichischen Küche, und lebt seine Träume daheim aus? Warum geht er nicht zünftig im Restaurant essen, wenn er so oft in Österreich ist?
Dazu gibt es ein Problem, das ich gar nicht als Problem empfinde und noch nie empfunden habe und manchmal ein Problem der Anderen ist: Ich vermeide den Konsum von Fleisch. Die Mehrheit würde vielleicht sagen, ich lebe vegetarisch. Doch ich vermeide diese Bezeichnung lieber. Sie klingt immer nach ideologisch-politischer Ecke, nach Lifestyle, nach Bekehrertum und nach verzichten müssen - aber nicht wollen.
Fleisch vermeiden hört sich schöner an. Fleisch schmeckt mir einfach nicht. Das kommt aus tiefstem Herzen, denn ich vermeide strikt und ohne Ausnahmen. Nicht mal zu Weihnachten. Oder Ostern. Oder dem Barbecue der Nachbarn im Garten. Mir fällt das gar nicht mehr auf nach all den Jahrzehnten. Es sei denn, ich schreibe drüber.
Zurück zum Problem, das ich nicht als Problem empfinde: Durch meine Fleischvermeidung entgehen mir viele regionale Spezialitäten und landestypische Rezepte. Auch bei Haute Cuisine, Guide Michelin, Gault Millau, Falstaff und Konsorten kann ich kaum mitreden, da auch sie zum Großteil auf Fleisch basieren. Eine Karriere als klassischer Restaurantkritiker werde ich mir, zumindest in diesem Leben, abschminken müssen. Damit kann ich ganz gut leben.
Österreichisch. Saisonal. Regional.
Ein Nachteil von vielen klassisch-vegetarischen Rezepten ist ihre Entkopplung von traditioneller bürgerlicher Küche. Abgesehen von der oft fleischlosen indischen- und libanesischen Küche wird es schwierig, sich vegetarisch und jeweiligen Landesküche gemäß zu ernähren. Wo wir wieder zurück bei der österreichischen Küche sind: zwar ist auch sie fleischlastig, doch aussichtslos ist die Lage nicht. Das will “Österreichisch Vegetarisch” beweisen - ein Kochbuch, das gerade beim Brandstätter Verlag erschienen ist.
Auf 272 Seiten werden österreichische Rezepte fleischlos ins 21. Jahrhundert transferiert. Auf verbreitete Klassiker der österreichischen Küche wird in diesem Buch nicht verzichtet, ihnen wird lediglich die Schwere und Üppigkeit der historischen Rezepte genommen und durch andere Zutaten ergänzt.
Verantwortlich für die fleischlose Neuausrichtung der Klassiker ist kein Anfänger: Der Wiener Meinrad Neunkirchner, seiner Zeit gelernt bei Eckart Witzigmann und dem legendären Aubergine, inzwischen selbst eine Koch-Legende, ist Experte für heimische Wildpflanzen, Wurzeln und saisonalen Gemüseraritäten. Daher liegt es nahe, sich mit dieser Kompetenz an vegetarischer Küche zu versuchen. Textlich wie konzeptionell stand ihm Katharina Seiser zur Seite, der Magazinjournalistin und Köchin aus Wien.
Das Buch mit Hardcover ist ein hübsch anzusehender Brocken. Wertig gestaltet, geschmackvolles Design. Die Seiten sind angenehm klar und minimal gestaltet - hier wirkt nichts überladen: links ein Foto der Kreation, rechts das Rezept. Ohne viel Vorwort und Blabla kommt es gleich auf Seite vierzehn zur Sache: das erste Rezept. Österreichisch und Vegetarisch. Bitteschön, die Kochshow kann beginnen.
Inklusive Küchen-Wienerisch für Anfänger.
Vernünftig empfinde ich die Aufteilung der Rezepte nach Jahreszeiten. Und das ist der heutigen globalen Zeit auch bitter nötig! Brauchen wir chilenischen Spargel im Herbst? Oder chinesische Erdbeeren im Winter? Oder neuseeländische Äpfel im Frühling, wo dem Mitteleuropäer das durch die heimischen Gärten geboten wird? Nö.
Auf dieser Überzeugung basieren Meinrad Neunkirchners Rezepte. Das animiert mich zum saisonalen Zutateneinkauf. Da gehören die Kürbisrezepte in den Herbst, die Kohl- und deftigen Kartoffelrezepte in den Winter, die frischen Gemüse- und Spargelrezepte in den Frühling. Und ich finde sie in diesem Buch. Vernünftig, so muss das sein.
Viele Rezept sind nicht sonderlich komplex aufgebaut, trotzdem ist ihre Zubereitung nichts für die Schnelle. Einige Zutaten sind manchmal aufwendig zu bekommen; beispielsweise führt kaum ein Gemüsehändler (zumindest bei mir) im Herbst Petersilienwurzel, die ich für gebratenen Chicorée mit Petersilienwurzelsoße (S.192) brauchte. Als Ersatz hätte die ähnliche Pastinake passen können, aber sie schmeckt auch anders. Von daher nicht zu gebrauchen, wenn man rezeptnah kochen möchte.
Noch schwieriger gestaltete sich der Zutateneinkauf für Rezept, das sich hinterher als göttlich herausgestellt hatte, der “Käferbohnensuppe” auf Seite 162. Die steirischen Käferbohnen (hier in Deutschland Feuerbohnen genannt) sind auf unösterreichischen Gebieten äußerst schwierig zu bekommen. Die imposante Fotografie dieser Suppe von Fotograf Thomas Apolt ließ mich Blasen durch Düsseldorf rennen, in Erwartung die steirischen Käferbohnen als Zutat zu ergattern. Schwierig und zeitaufwendig, aber es lohnte sich für dieses Rezept! Ehrlich.
Eine andere Eigenart des Buches fiel mir auch bei anderen Rezepten auf: Die Texte sind auf österreichisches Deutsch zugeschnitten, zumindest was die Bezeichnung der Zutaten angeht. Da ist die Tomate der Paradeiser, die Kartoffel ein Erdapfel, die Aprikose ist Marille. Für jemand, der noch nie in Österreich war, wird man übersetzen müssen. Im Zeitalter von Internet und Suchmaschinen dürfte das kein zeitintensives Problem sein.
Und dennoch: bei Fisolen, (gemeint sind grüne Gartenbohnen), bei Eierschwammerl (Pfifferlinge), bei Kohlsprossen (Rosenkohl), bei Pelati (Dosentomaten), bei Topfen (Quark), bei Karfiol (Blumenkohl) und bei vielen anderen musste ich selbst googlen. Zwar ist mir Österreich nicht sonderlich fremd, aber bei diesen Idiomen musste ich passen! Bis mir auffiel, dass weiter hinten im Buch für Deutsche und Schweizer eine Vokabelseite “Küchenösterreichisch - Hochdeutsch” eingerichtet wurde. Klasse! Auch offline - ohne Google - weiß man welche Zutat gemeint ist.
Meine ehrliche Meinung zu den österreichischen Bezeichnungen im Buch: begrüßenswert! Wer österreichische Küche in die tristen deutschen Heime zaubern möchte, hat sich gefälligst mit den dort üblichen Bezeichnung plagen zu müssen. Und, mein Gott, es ist ja nicht die Welt. Hochdeutsche Bezeichnungen strahlen halt kaum Gemütlichkeit aus.
Kritik, die auszuhalten ist.
Was mich am Buch etwas gestört hat, sind die nicht wenigen Rezepte für Mehl- und Süßspeisen. Zwar sind sie traditioneller Bestandteil der österreichischen Küche und nicht wegzudenken. Doch sind sie von Hause aus fleischlos, von daher hätte ich mir gewünscht, wenn man stattdessen noch mehr Rezepte für Hauptgerichte eingebracht hätte. Aber das ist jammern auf hohem Niveau und geht schon in Ordnung.
Das Buch "Österreich Vegetarisch" bietet so wunderbare neue Eindrücke. Das Vorhaben, landestypische Gerichte ins Fleischlose zu transferieren finde ich gelungen. Die Rezepte haben den nötigen Pfiff und heben sich wohltuend von den gängigen vegetarischen Gerichten ab. Hier kann man beruhigt den Tofu im Kühlschrank lassen. Fleischersatz ist nicht nötig. Die Rezepte hier kommen hier ohne klar. Mich wird dieses Buch die nächsten Monate in der Küche begleiten, so viel ist sicher.
Fotos: Verlag Brandstätter, Peter Putzer/www.mundschenk.at und Katharina Seiser www.esskultur.at
Österreich Vegetarisch. Verlag Brandstätter.
Katharina Seiser, Autorin.
geb. 1974 in Oberösterreich, ist ausgebildete Magazinjournalistin, Köchin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie lebt in Wien und reist, um zu essen. Bio ist ihr wichtig. Seit 2001 schreibt sie kulinarische Texte für Magazine, Zeitungen, Bücher und online.
www.esskultur.at
Meinrad Neunkirchner, Koch & Autor.
geb. 1962 in Wien, gilt als „Meister der Aromen“. Er hat bei Eckart Witzigmann gelernt und bei Marc Meneau, Troisgros, u. a. gearbeitet. Im Gourmet Gasthaus Freyenstein in Wien kocht er saisonal, besonders gerne mit Wildpflanzen und Raritäten (2 Hauben, Bib Gourmand).
www.freyenstein.at
Thomas Apolt, Fotograf.
geb. 1963 im Waldviertel, ist gelernter Fotograf. Seit 1991 fotografiert er in seinem Studio in Wien freiberuflich Essen, am liebsten ganz natürlich. Mit Meinrad Neunkirchner arbeitet er seit zwölf Jahren zusammen. Seine Bilder erscheinen in Magazinen und zahlreichen Kochbüchern.
„Österreich Vegetarisch“
erschienen im Brandstätter Verlag
Format 19 x 24 cm
272 Seiten, ca. 100 Abbildungen
Hardcover, Halbleinen, 3 Lesebändchen, herausnehmbares Saisonplakat
34,90 Euro, 46,90 SFR.
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